Newsletter 28 / August 2023

Newsletter
28/September 2023:

Brennende Themen. Ideen, Inspirationen und Projekte aus Kirche und Diakonie.

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  • Die große Pause 
  • Institutionen in Bewegung – Kirche und Schule als Transformationsraum
  • Wie kann Veränderung gelingen?
  • Pflichtdienstdebatte und Kürzungen beim freiwilligen Engagement 
  • Für eine andere Ökonomie und für stärkere Kommunen
  • Inklusion bereichert alle
  • Bücher von Freund*innen
  • Inspirierende Orte

Die große Pause  

„Die große Fracht des Sommers ist verladen“ – ich liebe gerade diese Zeile aus Ingeborg Bachmanns Gedicht „Die große Fracht“. Vor meinem inneren Auge tauchen Bilder auf: Erntewagen, die durch unser Dorf fahren, Sonnenschein auf dem Meer, kreischende Möwen. Sommerbilder, in vielen Jahren gesammelt. Urlaubserinnerungen, Fotos, Lieder. Ich denke an Freiheit, Zeit ohne Vorgaben – und auch an die Melancholie der letzten Tage. Es ist schon ein Wunder: Wir fahren an einen anderen Ort, der Rahmen unserer Tage ändert sich, neue Zeitstrukturen entwickeln sich, Gewohnheiten brechen auf. Und plötzlich sehen wir unser Leben aus einer neuen Perspektive. Neue Ideen tauchen auf wie Sternschnuppen in den Perseidennächten.

In diesem Jahr haben wir die Nordsee bei „deutschem Sommerwetter“ genossen – Wolken, Wind und Wellen, helles Licht bis in den späten Abend, dazwischen auch etwas Regen erlebten wir als ein herrliches Geschenk in Zeiten der Klimakatastrophe. Meine Schwester mit ihrer amerikanischen Familie war derweil eine Woche in Virginia, wo es die Hitze nicht mal erlaubte, am Pool auszuspannen, während ein Neffe mit seiner Familie ganz nah an einer der Brandkatastrophen in Griechenland war. Und Frau Sartor, die diesen Newsletter gestaltet, ist durch ihre Familie nah dran an den fürchterlichen Überschwemmungen in Slowenien. In den Medien lese ich von den steigenden Temperaturen der Meere, vor der Küste Floridas sei es warm wie in der Badewanne. Wir selbst werden wohl im Sommer nur noch in den Norden fahren – und werden vermutlich nicht die Einzigen sein. Das Urlaubsverhalten ändert sich gerade, es gibt eben keine Auszeit von der Klimakatastrophe. Und übrigens auch nicht von vielen anderen Schwierigkeiten: Der Sommerurlaub wird wieder politisch, viele können sich das Rauskommen nicht mehr leisten. Eine Comicausstellung in Dortmund reflektiert die verschiedenen Seiten unserer Urlaubskulturen.

Unter den vielen Aktivitäten, mit denen Menschen auf die Klimakrise aufmerksam machen und Veränderungen in Gang bringen möchten, seien hier einige genannt, die mir besonders auffielen: Die KlimaSeniorinnen in der Schweiz haben vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt, weil sie als ältere Menschen vom Klimawandel besonders stark betroffen sind, und auch um ihre Nachkommen vor dessen Folgen zu schützen. Die Evangelische Kirche in Kurhessen-Waldeck hat das Projekt „7 Jahre – 700.000 Bäume“ ins Leben gerufen und will für jedes Mitglied einen Baum pflanzen – ihre Form, auf die Bedeutung des Waldes aufmerksam zu machen und für Klimaschutz und Bewahrung der Schöpfung einzutreten. Der Schöpfungskalender von Chrismon lädt dazu ein, bewusst und gemeinsam die sogenannten Schöpfungstage zwischen dem 1. September und 4. Oktober zu erleben. In unserer Umgebung Gottes Schöpfung wahrzunehmen und uns davon erfüllen zu lassen, dazu ermuntert in beschwingten Sätzen der neue Newsletter von Fresh Expressions. Darius Götsch, einer der Autor:innen der Plattform, hat dieser Erfahrung ein ganzes Buch gewidmet: „Mit Gott im Wald“.

Überhaupt gehört für mich Lesestoff zum Sommer: Es ist wunderbar, am Strand oder auf dem Balkon mal wieder in Ruhe einen langen Roman zu lesen, in andere Welten einzutauchen. Und ich weiß, es geht vielen so – die Fotos von Bücherstapeln auf Facebook erzählen davon. In diesem Jahr habe ich mich in Nino Haratischwilis „Das mangelnde Licht“ vergraben. Der Roman über den Krieg in Georgien, der von den verwobenen Schicksalen von vier Freundinnen erzählt, hat mir auch geholfen, die Situation in der Ukraine etwas besser zu verstehen. Wie die Klimakatastrophe hat der Krieg in der Ukraine uns in Bildern, Berichten und in Kunstwerken auch in diesen Urlaubstagen begleitet. Wobei ja der Krieg selbst ebenso zerstörerisch für  Natur und  Landwirtschaft in dem überfallenen Land ist wie für die Menschen, vor allem in der Gegend um den zerstörten Kachowka-Staudamm. „Stimmen aus dem Krieg“ heißt ein Film, in dem unterschiedlichste Frauen erzählen, wie sie die Situation erleben, wie sie handeln, als Geflüchtete ebenso wie als Hebamme am Heimatort oder als Soldatin an der Front – ein verstörendes Panorama (in der MDR-Mediathek noch bis 19.9. verfügbar). Was es aber heißt, in einer Diktatur zu leben, das hat sehr eindringlich Herta Müller literarisch zum Ausdruck gebracht – der siebzigste Geburtstag der Nobelpreisträgerin war Anlass, einiges noch mal nachzulesen. (Ein sehr eindringliches Porträt kann man noch beim Deutschlandfunk nachhören oder -lesen.) Neben dem erneuten Staunen vor diesem Werk war immer wieder der Gedanke da: Ein Sieg Russlands würde Diktatur in der Ukraine bedeuten. Das darf den Menschen dort nicht widerfahren.

Urlaub ist Tapeten-, aber auch Perspektivwechsel. Wenn ich in einem anderen Land Zeitung lese, die Nachrichten sehe, wird mir das andere Mindset bewusst. Mir sind diesmal besonders die unterschiedlichen Nuancen aufgefallen, mit denen meine Lieblingszeitung in den Niederlanden, Trouw, über Fragestellungen berichtet, die auch uns bewegen: die Rolle der Ärzt:innen als Beratende bei der Suizidassistenz, gravierende Veränderungen der Landwirtschaft und ihre politischen Auswirkungen beispielsweise in der Partei „Bürger und Bauern“ oder der Kampf um den Erhalt der offenen Gesellschaft und der Demokratie in Israel – in den Niederlanden wird darüber noch kritischer berichtet als hierzulande. Ich habe währenddessen Meron Mendels „Über Israel reden“ gelesen – für mich eine hilfreiche Lektion nicht nur über die komplexen Verhältnisse in Israel und den Blick der Deutschen auf das Land, sondern auch eine Anregung, einmal aus der Ferne auf das eigene Land zu schauen.

Institutionen in Bewegung

Aktuell sensibilisiert mich die Bedrohung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durch die Regierung in Israel auch dafür, wie viel – bzw. wie wenig Vertrauen viele in Deutschland in die Regierung und auch generell in die Demokratie haben. Die schlechten Werte der Bundesregierung in der letzten Forsa-Umfrage, auch eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zur sinkenden Zufriedenheit mit der Demokratie, nicht zuletzt die hohen Zustimmungswerte der AfD zeigen: Das Vertrauen in die Institutionen erodiert. Das gilt auch für die Kirche. Die Austrittswelle, die immer wieder aufkommende Auseinandersetzung über die Kirchensteuer führen auf meiner Facebookseite zu einer Fülle von Debatten und einem bunten Ideenwettbewerb. Dass die Kirche überhaupt so lange so stabil bleiben würde, hätte ich mir in den siebziger Jahren, als ich mein Studium begann, nicht vorstellen können – die 1974 unter dem Titel „Wie stabil ist die Kirche?“ veröffentlichte erste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung ließ keine Illusionen aufkommen. Als ich 1994 die Geschäftsführung in einer Reformkommission der Evangelischen Kirche im Rheinland übernahm, mit der wir nach Antworten auf ein (letztlich kurzfristiges) Absinken der Steuereinnahmen suchten, hätte ich nicht erwartet, dass die meisten Vorschläge erst einmal wieder in den Schubladen verschwinden würden. Jetzt aber geht es schnell: Berechnungen für die Einsparung von Pfarrstellen und das Aufgeben von Gebäuden liegen bereits vor – das betrifft beispielsweise rund ein Drittel der etwa 42.500 evangelischen und katholischen Kirchengebäude, von denen viele denkmalgeschützt sind. Damit einher gehen die Entwicklung regionaler Kooperationen aus mehreren Gemeinden, eine neue Offenheit für Nachbarschaft und Quartier sowie zahlreiche Angebote, die den Karriereweg Pfarrer:in offenbar für junge Menschen wieder attraktiv machen können. Die Reformideen sind mutiger, bunter als vor dreißig Jahren. Zu der neuen Kreativität hat nicht zuletzt die Pandemie beigetragen: Taufen am Strand, Pop-up-Trauungen – fünf, zehn, vielleicht sogar zwanzig Paare entscheiden sich kurzfristig, den Segen für ihre Partnerschaft zu erbitten –, Fußwaschungen und Segenweitergabe in Fußgängerzonen tragen die Inhalte des Glaubens in den Alltag. Mit der Umnutzung von Gebäuden werden neue Zielgruppen angesprochen. Gerade gibt es auch vielfältige Planungen für einen Mutausbruch zum Reformationstag. Mir macht es Freude zu entdecken, wie viel jetzt ausprobiert wird – allerdings sehe ich auch erhebliche Reibungsverluste im Zusammenspiel der Ebenen, insbesondere zwischen den Leitungsgremien und den Ehrenamtlichen, die die Situation im Quartier oft am besten kennen. Weniger zentrale Steuerung, mehr Entscheidungsspielräume vor Ort, das könnten – ähnlich wie bei der Stadt- und Quartiersentwicklung – die Schlüsselwörter für eine Strukturveränderung sein. In einem Interview im WDR mit Kirsten Dietrich zum „Geburtstag der Kirche“ zu Pfingsten habe ich über diese Themen und meine Vorstellungen von einer Kirche mit beweglicheren Strukturen gesprochen.

Doch es geht auch konkret um die Arbeit der einzelnen Personen in und an der Kirche. „Person und Institution“ hieß eine der Studien der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in den 1990er Jahren. In Führungskräfteworkshops und im Coaching wird mir immer deutlicher, dass es nicht genügt, Strukturen und Gesetze zu verändern; genauso wichtig ist, dass die beteiligten Personen die Chance bekommen, ihren Berufsweg in der Transformation der Kirche zu reflektieren und das eigene Profil neu auszurichten. Eine junge Kollegin sagte mir neulich, sie fühle sich dreifach belastet, denn sie müsse das Alte noch weitermachen, etwa Trauer- und Trostarbeit leisten für manche, die sich heimatlos fühlen, weil gewohnte Strukturen und Angebote erodieren; zugleich das Neue ausprobieren, um Suchende zu gewinnen, jungen Leuten Raum zu geben; und schließlich den Übergang managen. Insgesamt wachsen die Anforderungen an glaubwürdige, spirituelle Persönlichkeiten wie bei den kirchlichen Influencer:innen, den „Creator:innen“, denen man – gerade, weil sie im Alltag verwurzelt sind – zugesteht und zutraut, im unmittelbaren „Amtshandeln“ Neues zu entwickeln und auszuprobieren. Um so eine Persönlichkeit zu sein, ist es unabdingbar, auch die eigene Motivation, die geistliche Energie zu pflegen, auf sich selbst zu achten und ein gutes Netzwerk zu knüpfen. Coaching kann hier genauso wie geistliche Begleitung unterstützen, vielleicht inspiriert auch ein Buch wie Silja Mahlows Spiritual Leadership, das Führungskräften auch außerhalb der Kirche mit praktischen Übungen helfen will, den eigenen Weg klarer zu erkennen. Angesichts der Strukturveränderungen wird das nicht ohne Auseinandersetzung mit dem Thema Macht gehen. Doch es geht auch um die Strukturen von Studium und Ausbildung, etwa um ein Theologiestudium, das auf die gesellschaftlichen Veränderungen wie auf zukünftige Anforderungen eingeht. Seit vielen Jahren gibt es hierzu Diskussionen. Der stark praxisbezogene Studiengang Pioneer Ministry in Jena erscheint mir als eine kleine, aber zukunftsträchtige Antwort.

Blick nach nebenan: Kirche und Schule als Transformationsraum

Ein Seitenblick auf die Schule zeigt, wie sehr die Veränderungen von Gesellschaft, Institution und persönlichem Werdegang ineinandergreifen. Die unzureichende Digitalisierung war während der Pandemie ein großes Thema, inzwischen haben viele Schulen hier aufgeholt. Doch seit 2015 und erst recht seit dem Krieg in der Ukraine werden auch die Lerngruppen immer vielfältiger. Und bei wachsenden Schüler:innenzahlen gibt es weiterhin einen dramatischen Mangel an Lehrkräften. Wie können mehr Menschen für die Arbeit mit Schüler:innen begeistert werden? Potenziale bestehen beispielsweise in multiprofessionellen Teams, der intensiveren Förderung des Quereinstiegs und im Verzicht auf die Forderung von zwei Studienfächern, die Quereinsteiger:innen und Migrant:innen mit Lehrerausbildung meist fehlen. Eine solche Veränderung könnte zu einem dualen Studiengang mit entsprechenden Veränderungen des Referendariats führen. Aber die intendierte Verzahnung von theoretischem und praktischem Wissen ist heiß diskutiert, weil die universitäre Ausbildung die eigenständige Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Entwicklung der Studienfächer fördern soll. Wie das Verhältnis von wissenschaftlicher Arbeit, Fachdidaktik und (sozial-)pädagogischer Methodik in Zukunft sein soll, das fragen sich viele auch im Blick auf die Entwicklung theologischer, diakonischer und gemeindepädagogischer Berufsgruppen in der Kirche. Klar ist: Auch in der Schule geht eine Phase zu Ende. Und wie in der Kirche ziehen sich manche zurück und suchen andere Aufgaben, aber viele sind auch bereit, sich zu engagieren und die notwendigen Veränderungsprozesse mitzugestalten – Kinder, Jugendliche, Lehrkräfte ebenso wie hauptamtliche Mitarbeitende der Kirchen, Eltern, Engagierte im Quartier ebenso wie die Ehrenamtlichen in den Kirchengemeinden. Die anstehenden Prozesse brauchen Raum, Zeit und Ressourcen. Mit PCs für jede*n und Werbetafeln für den Lehrerberuf ist es nicht getan. 

Wie kann Veränderung gelingen?

Die stärkere Würdigung von Ehrenamtlichen und Engagierten in den Kirchen ist ein entscheidender Schritt, um die Herausforderungen konkret in den Blick zu nehmen: Menschen aus unterschiedlichsten Lebenszusammenhängen und Berufsgruppen bringen gesellschaftliche Anliegen in die Kirche, schaffen Vielstimmigkeit, kommunizieren über individuelle und gesellschaftliche Sinnstiftung (hierzu instruktiv übrigens Hartmut Rosas neues Buch Demokratie braucht Religion). Doch damit Ehrenamtliche in der Kirche wirksam werden können, müssen sie auch strategisch ernst genommen werden – was beispielsweise bedeutet, dass sie im Kirchenvorstand nicht völlig überlastet werden, obwohl über Strategien und Verwaltungsprozesse anderswo entschieden wird. Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck hat gerade Standards für die Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen formuliert, die in meinen Augen sehr zentrale Punkte benennen. Beispielsweise geht es um die Anerkennung, aber auch um die Qualifizierung von Engagierten sowie darum, auch das Ehrenamt inklusiv zu gestalten: Aus Nehmenden können Gebende werden.

Auch hier lohnt ein Blick über den Tellerrand, nämlich zur ganz ähnlichen Situation in den Kommunen: Viele Kommunalpolitiker:innen fühlen sich als Vollzugsbeamt:innen der Verwaltung, werden dabei in ihrer politischen Verantwortung und lokalen Vernetzung nicht wirklich geschätzt, während sie zugleich für die Beschlüsse verantwortlich gemacht und oft auch persönlich angegriffen werden. In der Konsequenz finden sich immer weniger Menschen, die bereit sind, diese Aufgabe zu erfüllen. Mit Feuerwehr und Notdienst ist es ganz ähnlich und ich wünsche mir ein neues Selbstbewusstsein und größere Netzwerke der Engagierten.

Ressourcen für freiwilliges Engagement – oder Pflichtdienst für alle? 

Auf ganz andere Art wird auf der großen politischen Bühne über das Ehrenamt diskutiert: Seit den 1990er Jahren gibt es immer wieder Debatten über einen Pflichtdienst: Einerseits sollen die Bürger:innen früh begreifen, dass zu den Bürger:innenrechten auch die Pflichten gehören – schließlich fehlt zurzeit mit dem Wehrdienst auch der Zivildienst –, zugleich geht es aber um eine Lösung für den Mangel an Fach- und Arbeitskräften im Sozial- und Gesundheitsbereich. Ich frage mich allerdings, ob nicht das Engagement der Älteren stärker gefördert werden könnte. Und ich weiß nur zu gut, wie viel gute Begleitung und Schulung so ein Dienst braucht. Dass gerade jetzt die Finanzen für den Bundesfreiwilligendienst gekürzt werden sollen, obwohl es seit Langem wegen fehlender Mittel mehr Interessent:innen als Teilnehmer:innen gibt, ist mir unverständlich – und genauso irritierend wie die Tatsache, dass die Mittel für die Unterstützung des zivilgesellschaftlichen Engagements, aber auch die für die Bundeszentrale für politische Bildung erheblich gekürzt werden – und das in Zeiten populistischer Strömungen.

Seit vielen Jahren schon beobachte und schätze ich die Aktivitäten der Omas gegen rechts, die mit viel Kreativität und Schwung für eine freie, demokratische Gesellschaft eintreten. Im April haben sie – übrigens mit Unterstützung der Sparkassen – von Dresden aus ein Crowdfundingprojekt realisiert. Wer die Website und das tolle Memoryspiel anschaut, bekommt vielleicht auch gleich Lust zum Mitmachen. Wahr ist: Engagement macht stark. Das ist auch das Motto der Kampagne, die das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement in diesem Jahr erneut durchführt, diesmal zum Schwerpunktthema Bildung. Hier finden Sie den Kalender für die Aktionen und Mitgestaltungsmöglichkeiten zwischen 8. und 13. September.

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Meine Termine zu diesem Themenfeld: 
Vortrag „Raum geben?! Babyboomer als Chance für Gemeindeentwicklung“ Fachstellen Älterwerden der Kirchen im Norden (online) am 31. August 

Vortrag „Das Gold, das die Hoffnung stärkt – Zusammenhalt in Brüchen“; Versammlung DIAKONIA-DRAE (Region Afrika-Europa), Neuendettelsau, 9. September

Alle Themen für Vorträge, Seminare, Workshops hier.
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Fundamente des Miteinanders: Erziehung, Bildung, Care und Wohnen

So wichtig das ehrenamtliche Engagement ist, so wenig kann dadurch die öffentliche Hand aus ihrer Verantwortung entlassen werden. Im Zentrum stehen dabei die Bereiche Bildung und Care. Die Familien dürfen mit der Sorge um ihre Kinder und älteren Angehörigen nicht allein gelassen werden, denn schon jetzt sind sie am Anschlag, wie Christine Falk und ich es in unserem Artikel für Praxis Gemeindepädagogik beschrieben haben: Viel zu viele – vor allem Frauen – müssen extreme Einschnitte bei ihren Möglichkeiten der Erwerbsarbeit hinnehmen, weil keine zuverlässigen Strukturen für die Kinderbetreuung und/oder die Pflege von Angehörigen zur Verfügung stehen. Das führt nicht nur für die Betroffenen selbst zu massiven Einkommens- und später Renteneinbußen, sondern häufig zu Kinderarmut. Wie kurzsichtig es ist, sich damit abzufinden, haben gerade Diakoniepräsident Ulrich Lilie sowie Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, anlässlich der Präsentation eines Gutachtens des DIW auf den Punkt gebracht. „Gefragt ist jetzt eine kluge Sozialpolitik mit ökonomischem Weitblick, die investiert und nicht nur die Folgeschäden von Armut ausbessert“, sagt Ulrich Lilie: „Wer bei den Kindern spart, zahlt später drauf.“ Der renommierte Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge hat schon vor einigen Monaten sehr genau ausformuliert, wie eine Kindergrundsicherung aussehen könnte. Klärend und hilfreich sind aus meiner Sicht auch die Ausführungen von Marcel Fratzscher zu den Themen Kindergrundsicherung und auch Ehegattensplitting in seiner Kolumne Fratzschers Verteilungsfragen in der ZEIT, mit denen er einige Mythen gerade über die Kinderarmut abräumt. Wenn Kinder wegen Geldmangels von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen sind – vom Kindergeburtstag über Ausflüge und Kulturveranstaltungen bis zu unterschiedlichsten Bildungsangeboten –, nimmt ihnen das Zukunftschancen. Institutionen wie die Schule können nicht alles aufwiegen, was im Elternhau fehlt. Der gerade gefundene Kompromiss zur Kindergrundsicherung ist ein erster Schritt in Richtung Service und Bündelung. Aber er bleibt, was die Familien angeht, hinter den Erwartungen zurück.

Investitionen für Kinder – dabei geht es aber auch um die Unterstützung der Kitas, denn die stehen kurz vor dem Kollaps, wie ein Artikel in der aktuellen Ausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik analysiert.  „Die gleiche Summe, die wir jetzt für Rüstung ausgeben, brauchen wir auch für die Bildung“, sagt die Bremer Kita-Expertin Ilse Wehrmann und fordert einen Bildungsgipfel auf Bundesebene. Zugleich gibt sie auch einige Hinweise, wie allein durch den Abbau bürokratischer Hürden mehr Kita-Plätze geschaffen werden können. Der Verband Erziehung und Bildung fordert, ebenso wie andere, ein Sondervermögen Bildung. Konzeptionsdebatten werden seit langem geführt, es geht um ihre schnelle Umsetzung. So schnell, wie es mit den LNG-Terminals ging, findet Ilse Wehrmann bezüglich der Kitas. Am 23. September wird es bundesweite Demonstrationen für eine Bildungswende geben, zu denen ein breites Bündnis von Bildungsverbänden aufruft.

Ähnlich dramatisch wie bei den Kitas und Schulen sieht es nach wie vor in der Pflege aus. Eine aktuelle Untersuchung zeigt, dass immer weniger Menschen eine Ausbildung für einen Pflegeberuf wählen, während gleichzeitig viele Pflegekräfte in Rente gehen – oder den eigentlich geliebten Beruf wegen der katastrophalen Bedingungen verlassen. Was andererseits die Angehörigen für einen Heimplatz zuzahlen müssen, ist oft gar nicht mehr aufzubringen. Daran hat auch die von Gesundheitsminister Lauterbach vorangetriebene Pflegereform kaum etwas geändert. Die Erhöhung des Pflegegeldes für pflegende Angehörige wie die der Zuschläge für die Versorgung in Einrichtungen gleicht nicht einmal die Inflation aus. Zudem steigen ständig die Kosten für die Versorgung in Pflegeeinrichtungen – eine Folge der Energiekrise, der Inflation und des so unbedingt notwendigen Lohnzuwachses bei den Pflegekräften, der mit der aktuellen Erhöhung des Pflegemindestlohns noch einmal leicht gestärkt wird. Ein Bündnis von vierzig Verbänden fordert daher eine Pflegevollversicherung – und kann sich dabei auf die Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung berufen, wie eine im Auftrag des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes erstellte Forsa-Umfrage zeigt. (Hier ein Hintergrundpapier zur Kostenentwicklung für Angehörige bei stationärer und ambulanter Pflege.) Den endlich sich vollziehenden inhaltlichen Wandel in den Pflegeberufen reflektiert eine Tagung der Fliedner-Kulturstiftung in Kaiserswerth am 25. Oktober: Professionalisierung der Berufe in Pflege und Gesundheit: Wünsche in der Vergangenheit und Erfüllung in der Gegenwart?

Schließlich stehen zahllose Familien vor dem Problem, keine bezahlbare Wohnung zu finden. Der Wohnungsbau bleibt seit Jahren weit hinter den Planungen zurück und hat sich mit den Folgen von Corona und des russischen Kriegs gegen die Ukraine noch einmal verlangsamt. Neben dem fehlenden Neubau gibt es aber auch weitere Aspekte des Wohnungsmangels. So erscheint der Wohnraum nicht richtig verteilt – zum Beispiel zwischen den Generationen. In einigen Städten gibt es nun Wohnungstauschprogramme, beispielsweise in Freiburg: Auf einer digitalen Plattform kann sich melden, wer eine kleinere oder größere Wohnung sucht. Eine zentrale politische Forderung der Sozialverbände, eigentlich im Koalitionsvertrag der Regierung vereinbart, wartet noch immer auf Umsetzung: die Etablierung klarer Regelungen für eine Wohngemeinnützigkeit, die es ermöglichen würde, dauerhaft günstigen Wohnraum zu schaffen für Menschen, die wegen ihres geringen Einkommens sonst keine Chance auf dem Wohnungsmarkt haben. „Viele gemeinnützige Träger […] würden sich gerne in der sozialen Vermietung von Wohnraum unterhalb des Marktpreises engagieren. Ohne das Instrument der Wohngemeinnützigkeit sind sie aber rechtlich daran gehindert, denn die Vermietung ist bisher nicht als gemeinnütziger Satzungszweck anerkannt“, sagt die Sozialvorständin der Diakonie Deutschland Maria Loheide. Auf Quartiersebene können auch mit vielen informellen Modellen Lösungen kreiert werden: Ältere öffnen ihre Häuser für Jüngere, bieten manchmal auch „Wohnen gegen Service“ an, andere stellen Geflüchteten ihr Wochenendhaus zur Verfügung, Wohlfahrtsverbände bieten Studierenden Wohnraum gegen Hausaufgabenhilfe. Und natürlich bleibt auch das gemeinschaftliche Wohnen en Vogue. Dessen Potenziale zu nutzen, dafür hat die Wohnschule Düsseldorf ein ganzes Spektrum an Ideen und Angeboten entwickelt – schauen Sie doch mal rein. Viele Konzepte lassen sich auch auf andere Städte übertragen. Zudem ist die Wohnschule auch unterwegs. Einen Ansatz, wie auf städtebaulicher und architektonischer Ebene Anliegen von Wohnen und Care verbunden werden können, bietet die Initiative Care Share 13 des Instituts für Pflege, Altern und Gesundheit.

Eine andere Ökonomie – und stärkere Kommunen 

Bildung, Pflege, Wohnen – grundsätzliche Konzepte sind gefragt, um die Probleme nachhaltig zu lösen. Vor allem brauchen wir eine Form des Wirtschaftens, die die Care-Aufgaben und den Wunsch nach Gemeinschaft genauso ernst nimmt wie die wirtschaftliche Stabilität, die für die Finanzierung des Sozialstaats nötig ist. Die Theologin Ina Praetorius und die Ökonomin und Soziologin Uta Meier-Gräwe haben mit ihrem Buch UmCare gezeigt, wie so ein Wirtschaften zu denken – und zu machen ist. Für die Zeitschrift Psychotherapie & Seelsorge habe ich das Buch rezensiert. Empfehlen möchte ich auch die Website Wirtschaft ist Care, die auch über die zahlreichen internationalen Initiativen für dieses andere – oder vielmehr grundlegende Wirtschaften informiert.

Der Ort von Care und Gemeinschaft sind neben den Familien die Kommunen. Sie müssen dringend in ihrer Zuständigkeit für diese Themen gestärkt – und entsprechend auch finanziell besser ausgestattet werden. Denn faktisch wurde die Idee, Kommunen durch eine Veränderung im Finanzausgleich oder durch Erlass der Überschuldung zu entlasten, oft diskutiert und versprochen, aber nie umgesetzt. Im Blick auf die Pflege hat die BAGSO ein sehr durchdachtes Positionspapier veröffentlicht. Mein Eindruck ist: Der Reformstau, den wir bei der Infrastruktur wie in der Verwaltung und auch in der Wirtschaft erleben, zeigt sich auch bei den sozialen Sicherungssystemen. Solange sich hier nichts bewegt, führt die Überforderung der Kommunen zu neuen Konflikten. Wo Kindergartenplätze, Erzieher:innen und Lehrer:innen fehlen, wo Menschen keine Wohnungen haben, führt die Aufnahme von Geflüchteten zu Ängsten und Wut. Dass es über viele Jahre nicht gelungen ist, eine europäische Asyl- und Migrationspolitik abzustimmen, hat die Problematik verschärft – und führt zu populistischen, oft zu rechtlich und politisch nicht umsetzbaren Vorschlägen. Die vorgesehene Kürzung der Mittel für die Migrationsberatung und für die Wohlfahrtsverbände wird das Problem verschärfen. Vor sechzig Jahren hielt Martin Luther King seine berühmte Rede in Washington, in der er von seinem Traum erzählte, dass Schwarze und weiße Menschen einander als Schwestern und Brüder begegnen. Die Erinnerung daran ist nicht nur in den USA wichtig. Auch bei uns geht es darum, sich gegen Rassismus und Menschenverachtung zu positionieren.* Und es gibt Möglichkeiten, wie wir anpacken können. Eine Fülle von hilfreichen Tipps, wie Gruppen und Einzelne Geflüchteten beim Ankommen helfen können, haben die UN-Flüchtlingshilfe Deutschland sowie die Caritas zusammengestellt. Vielleicht klicken Sie mal rein – vieles davon lässt sich sehr niedrigschwellig umsetzen. Die Hinweise der Caritas helfen zugleich, die eigenen Erwartungen und Möglichkeiten realistisch einzuschätzen.
* Übrigens – vielleicht haben Sie sich auch schon mal gewundert über die Schreibweise Schwarze Menschen? Gerade habe ich gelernt, dass damit ausgedrückt wird, dass es gerade nicht um die Hautfarbe geht, sondern um den strukturellen Rassismus. Die Großschreibung wird in den Communitys als eine Art Selbstermächtigung verstanden. 

Inklusion bereichert alle

Es gibt bei allem nicht nur die sozialpolitische Seite dieser Zusammenhänge. Denn letztlich geht es um das Wahrnehmen unserer Verletzlichkeit und unserer Angewiesenheit aufeinander.

Vor wenigen Wochen haben wieder die Special Olympics stattgefunden. In einer Morgenandacht habe ich von einer Teilnehmerin erzählt: „‘Auch wenn ich keine Siegerin werde, das ist mir egal. Hauptsache, ich habe Spaß und bin dabei’, sagt Janet, eine der Sportlerinnen. Sie ist als Leichtathletin gerade Achte geworden, im Standweitsprung. Standweitsprung – das ist Weitsprung ohne Anlauf. Manche springen da 1,80 m. Und manche 30 cm. Aber das ist egal. Dabeisein ist alles.“ Ich freue mich, dass die Special Olympics mittlerweile eine große öffentliche Aufmerksamkeit genießen. Doch sind es eben die special Olympics. Und nach wie vor sind es spezielle Werkstätten und Restaurants, in denen Menschen mit Behinderung arbeiten, und auch in der Schule gibt es vielfach Doppelstrukturen, statt dass wirkliche Inklusion gelebt würde. Dabei ist gut erforscht, dass von einem Unterricht, in dem Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen, alle profitieren – und zwar mehr als von unserem traditionellen System mit speziellen Förderschulen. (Vgl. dazu auch das epd-Interview mit dem Bildungsforscher Rolf Werning.) Vor fünfzehn Jahren trat die UN-Behindertenkonvention in Kraft, im selben Jahr international wie in Deutschland. Es bleibt noch viel zu tun, wie auch der Bericht des Instituts für Menschenrechte aufzeigt. Noch plastischer schildert es der Aktivist Raul Krauthausen. Er setzt sich unter anderem ein für das „Erlebnis und den Begegnungsraum Schule. Dieser soll alle Kinder dazu befähigen, an einer inklusiven und vielfältigen Gesellschaft teilzuhaben. Und dies ist zum Vorteil und Nutzen aller in dieser Gesellschaft Lebenden. Auch nicht-behinderte Menschen haben ein Recht darauf, mit behinderten Menschen zusammenzuleben. Die meisten Behinderungen sind erworben, nicht angeboren. Der Umgang damit ist für alle leichter, wenn Inklusion real stattfindet.“ Inklusion aber als Ideologie abzutun, wie es Björn Höcke tut, der im MDR-Sommerinterview meinte, „gesunde Gesellschaften haben gesunde Schulen“, ist nicht nur unmenschlich und dumm. Es geht vorbei am Sinn des Lebendigen.

„Das Absurde, das Erbarmungswürdige, das Rührende, das Furchterregende, das Komische, das Egoistische, das unmaskiert in mein Leben einbricht“, davon schreibt die preisgekrönte Autorin Helga Schubert in ihrem jüngsten Buch „Der heutige Tag. Ein Stundenbuch der Liebe“. Seit Jahren pflegt sie ihren Mann. In dem Buch erzählt sie von seiner Demenz und ihrer Überforderung – aber auch von Liebe und Barmherzigkeit im täglichen Miteinander. Und das ist manchmal wirklich komisch, etwa wenn ihr Mann im Februar Weihnachten feiern will. Manchmal auch furchterregend, wenn er sich nachts allein mit dem Rollstuhl auf den Weg macht und dann im Garten fällt. Schuberts Buch ist eine zutiefst berührende Schilderung des Älterwerdens und der zunehmenden Erfahrung von Verletzlichkeit. Und es gefällt mir, wie darin Platz ist für alles: für das Verstörende und Traurige, aber auch für das Schöne und Lebendige. In meinem Beitrag für die DLF-Sendung am Sonntag, 3. September werde ich über die verschiedenen Seiten des Alters nachdenken – auch über die Rollen, die alten Menschen in unserer Gesellschaft zugeschrieben werden, und die Chancen, die Ältere heute haben. Viele finden die Zeit, um Ungelebtes wahrzumachen, bringen ihre Erfahrungen in neue Zusammenhänge ein – und sorgen auch auf verschiedene Weise wie etwa mit Yoga dafür, Körper und Seele zusammenzuhalten. Inspiriert hat mich beim Schreiben der Sendung auch ein Interview mit Gladys McGarey, die 102 Jahre alt ist und mit Zufriedenheit über ihr Alter spricht: „Man kann sich Dinge vergeben, die man sich vorher nicht vergeben konnte. Man kann seinen Platz im Leben akzeptieren.“

Eine große Rolle für diese Zufriedenheit scheinen bei Gladys McGarey die Menschen zu spielen, die sie umgeben – ihre Familie vor allem und die Patient:innen, die sie als engagierte Ärztin bis weit über das übliche Rentenalter hinaus begleitet hat. Doch so eingebunden zu sein, ist nicht selbstverständlich. Für viele Menschen verbindet sich das Altwerden vor allem mit Einsamkeit. 

Der Sozialpsychologe Rolf van Dick berichtet in der FAZ von seinen Studien zur Einsamkeit, die er 2020 zu Beginn der Pandemie und noch einmal 2022 zu Beginn des Krieges in der Ukraine durchführte. Die Beteiligten wurden gefragt, wie sehr sie sich mit verschiedenen Gruppen identifizieren: mit Familie, Freundeskreis und Nachbarschaft, mit Deutschland, Europa und der ganzen Menschheit. Die Studie zeigt, dass die Zugehörigkeit zu jeder einzelnen Gruppe zu weniger Einsamkeit und besserer Stressresistenz führte, auch dazu, dass man sich wechselseitig unterstützt –  so, wie wir es von den Nachbarschaftsprojekten in der Pandemie kannten. Selbst das Gefühl, mit anderen Menschen in Europa verbunden oder Teil der weltweiten Kirche zu sein, hält Menschen gesund. „Keiner von uns lebt für sich allein, keiner stirbt für sich allein “, heißt es bei Paulus. Für ihn ist Unabhängigkeit nicht das Höchste: Zugehörigkeit und Hingabe geben dem Leben Sinn. „Die himmlische Werkstatt. Gottesnähe in alltäglichen Begegnungen“ habe ich einen Text für die Zeitschrift Pastoraltheologie genannt, der auch zahlreiche Beispiele vorstellt, wie Einzelne, Organisationen, Kirchengemeinden im Miteinander Einsamkeit überwinden und zugleich gesellschaftliche Fragen angehen können. Beispiele hierfür gibt es unter anderem auch bei Aktiv altern in NRW und überall. Eine sehr schöne Initiative sind in meinen Augen auch die Generationendinner, bei denen Kochen und Essen die Generationen verbinden. Und die Bürgerstiftung Hannover fördert Projekte zur Unterstützung älterer Menschen in Stadt und Region mit bis zu 45.000 Euro. Bewerbungsschluss ist der 15. September.
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Meine Termine zu diesem Themenfeld: 
Sendung Am Sonntagmorgen, „Margarete, Martha und ich – Alte Frauen und Ageismus in der Kirche“, DLF, 3. September, 8:35 bis 8:50 Uhr

Vortrag „Gemeinschaft neu entdecken“, Evangelisches Forum Bonn, 17. Oktober

Vortrag „Sicherheit und Offenheit: Lebens- und Sterbeorte im Quartier gestalten.“ Mitgliederversammlung der AG Hospizarbeit und Sterbebegleitung der Diakonie Hessen in Marburg, 7. November

Lesung/Vortrag „Noch einmal ist alles offen – das Geschenk des Älterwerdens“, fübs – Fürther Fachstelle für Seniorinnen und Senioren und die Belange von Menschen mit Behinderung, 10. November

Vortrag beim Diakonietag in Salzburg zum Thema „In nächster Nähe“, 17. November

5. Tagungsmodul: Mut zum Sinn – Lebens-, Sinn- und Glaubensfragen im Älterwerden, Gästehaus am Luisenpark, Erfurt, 19. & 20. Januar 2024

Mitte September gehe ich den Schattierungen unserer Verletzlichkeit und der Verbundenheit mit anderen in meinem Nachdenken über die Seligpreisungen nach: in den Morgenandachten im Deutschlandfunk vom 11. bis 16. September, immer um fünf nach halb sieben.

Die Termine ab Februar wie auch alle anderen finden Sie auf meiner Website.

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Bücher von Freund*innen

Das Besondere an dem Buch von Isabelle Noth und Eva-Maria Faber ist für mich tatsächlich das, was sie schon im Titel benennen: wie sie das Geschehen der Seelsorge als Begegnung beschreiben. Diese Situationen sind der Ausgangspunkt, von dem aus sie auch die theologischen, humanwissenschaftlichen, selbstreflexiven und hermeneutischen Auseinandersetzungen entfalten, die mit einer fundierten Seelsorge verbunden sind. Für P & S. Magazin für Psychotherapie und Seelsorge habe ich das Buch rezensiert.
Christian Krause war viele Jahre Generalsekretär des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Landesbischof und Präsident des Lutherischen Weltbundes. Bei unserer ökumenischen Arbeit im Nahen Osten konnte ich sein ebenso leises wie wirksames Auftreten erleben. Auf der Grundlage von Gesprächen mit Christian Krause hat sein langjähriger persönlicher Referent Dieter Rammler eine Biografie geschrieben, die noch mal sehr intensiv nacherleben lässt, was es bedeutete, Kirchen in Afrika, Mittel- und Westeuropa wie auch generell evangelische und katholische Kirche ins Gespräch zu bringen. Rammler zeichnet ein gutes Bild der Zeitgeschichte, vor dem Krauses ökumenisches Engagement umso eindrucksvoller hervortritt.
Barbara Städtler-Mach & Markus Bünemann konstatieren in ihrem Buch zunächst einmal die völlig unterschiedlichen und häufig kaum miteinander verbundenen Sichtweisen von Angehörigen, Politiker:innen und Wissenschaftler:innen und der Pflegekräfte selbst auf das Phänomen von osteuropäischen Pflegekräften in der häuslichen Pflege. Ihre Leistung besteht in meinen Augen darin, die Probleme wie auch notwendige Schritte für alle Seiten gleichermaßen nachvollziehbar zu formulieren – ein erster Schritt zu der drängenden Aufgabe, die sie im Untertitel benennen: Versorgung verantwortlich und fair [zu] gestalten.
Wieder einmal durfte ich am Frauenkalender mitarbeiten! Und jedes Mal macht es Spaß, zu sehen, was für Impulse die verschiedenen Autorinnen zu einem Thema finden. „Mit Mut!“ heißt diesmal der schöne Titel. Für die November-Seite habe ich festzuhalten versucht, wie ein kleiner Gegenstand, der mit einer Erinnerung gefüllt ist, mir neue Energie geben kann.
Den Frauenkirchenkalender hat mir eine Freundin empfohlen, die der christlich-orthodoxen Kirche angehört. Mir gefällt das Konzept dieses seit 1991 erscheinenden Taschenkalenders, der die Feste der unterschiedlichen Kirchen verzeichnet. Das Thema für 2024 ist Frieden. Der Kalender inspiriert mit Segenstexten und Impulsen sowie Biografien friedensstiftender Frauen.
Alexander Deeg und Kerstin Menzel geben ein Buch über Diakonische Kirchen(um)nutzung heraus. Es ist das Ergebnis einer Tagung innerhalb des umfangreichen DFG-Forschungsprojekts „Sakralraumtransformation – Funktion und Nutzung religiöser Orte in Deutschland“. Ich finde es sehr inspirierend, wie hier theologische und architektonische Reflexionen zusammenkommen. Unter dem Titel „Im Herzen des Quartiers. Kirchliche Räume als Ressourcen für Sorgende Gemeinschaften“ habe ich beschrieben, wie Kirchenhäuser in andere Räume der Nachbarschaft verwandelt wurden. Die Genezarethkirche in Berlin (Foto) ist nicht unter den Beispielen, doch mit ihrem Café und dem unbestuhlten Kirchenraum, in dem Pop-up-Trauungen stattfinden, ist auch sie zu einem neuen Herzort im Kiez geworden.
Mit der Theologin Birgit Mattausch bin ich auf Facebook befreundet. Sie fiel mir von Anfang an durch ihre kreative Art zu schreiben auf. Nun ist von ihr der Roman Bis wir Wald werden erschienen. Ort der Handlung ist ein Hochhaus am Rand des Waldes, in dem Menschen aus den verschiedensten Regionen der Welt zusammentreffen und miteinander leben. Der besondere Blick und die kreative Schreibweise beginnen schon beim Titel …

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Wenn die Kirche sich verändert, dann geht es, wie oben beschrieben, neben den Strukturveränderungen auch darum, wie die Menschen in der Kirche für sich und in ihrem Umfeld diese Veränderung leben und gestalten: Beides ist auf dem Tisch, wenn wir über Macht reden. Sabrina Müller und Janine Suhner fassen ein Thema an, das selten behandelt wird: die Macht der Theolog:innen, auch und gerade in Gottesdienst und Predigt. Aus feministischer, auch postkolonialer Perspektive beschreiben sie Formen der Predigt, die anstelle der frontalen Belehrung wirkungsvoll, seelenvoll, sinnvoll sein können.
 
Zum Schluss noch das Buch eines besonderen Freundes, meines Mannes Michael Marx, nämlich die Neuauflage seines Werks von 1996. Er schildert darin die Geschichte des Industriestandorts Wickrath, heute Teil von Mönchengladbach, wo wir zwischen 1979 und 1990 lebten. Die Darstellung zeigt, wie die übergreifenden wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen sich hier verdichteten. Besonders spannend finde ich die Schilderung, wie in den siebziger Jahren gewachsene kommunale Strukturen zugunsten von größeren „Räumen“, in Wahrheit: Flächen, aufgelöst wurden, weil man an eine Steigerung der Verwaltungseffizienz glaubte – und übersah, welche Kommunikationsräume dem zum Opfer fielen. Am 16. Dezember nachmittags wird das Buch in Schloss Wickrath vorgestellt.

Inspirierende Orte

Berlin

In Berlin erinnern (mindestens) zwei Häuser an den Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer. Im Stadtteil Berlin-Westend steht das Haus, das seine Eltern sich 1935 als Alterssitz hatten errichten lassen und wo Dietrich Bonhoeffer ein Mansardenzimmer als Arbeitszimmer nutzte, wenn er in der Stadt war. Das Haus wurde zum Ort des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Der engagierte Verein, der es heute als Erinnerungs- und Begegnungsstätte in Trägerschaft der Kirche Berlin-Brandenburg Schlesische Oberlausitz zugänglich macht, gibt auf seiner Website einige Worte Bonhoeffers wieder: „‘Was ein Haus bedeuten kann, ist heute bei den meisten in Vergessenheit geraten, uns anderen aber ist es gerade in unserer Zeit besonders klar geworden. Es ist mitten in der Welt ein Reich für sich, eine Burg im Sturm der Zeit, eine Zuflucht, ja ein Heiligtum‘, und er beschreibt im Taufbrief an den Großneffen sein eigenes Verhältnis zu diesem Haus: Er sei ‚bemüht, sich überall in dem Geist zu bewähren – so wie er ihn versteht – den er im Haus seiner Eltern, Deiner Urgroßeltern verkörpert‘ sieht.“

In Berlin-Mitte befindet sich das Dietrich-Bonhoeffer-Haus – ein exzellentes Tagungshotel in zentraler Lage hinter dem Friedrichstadtpalast. Das Gebäude wurde 1985/86 als Verwaltungsgebäude und Begegnungszentrum des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR errichtet und nach Bonhoeffer benannt. Ab Dezember 1989 fanden hier die ersten Treffen des Runden Tischs mit Vertreter:innen der DDR-Regierung und der Opposition statt, der so wesentlich zum Erfolg der friedlichen Revolution beigetragen hat – sicherlich im Sinne Dietrich Bonhoeffers. Auf der Gedenktafel vor dem Haus steht: „Das friedliche Ende der deutschen Teilung nahm in diesem Haus der Kirche in einem gewaltlos erzwungenen Dialog zum Abbau von Willkür und Aufbau von Demokratie am Zentralen Runden Tisch der DDR einen Anfang.“

Ganderkesee

Zwischen Bremen und Oldenburg, in dem kleinen Ort Ganderkesee, steht das Lutherstift Falkenburg. Die Mitglieder des Diakoniekonvents stammen aus unterschiedlichen Lebens- und Berufszusammenhängen und bringen sich mit ihren Gaben in der gesamten Region ein. Der Konvent ist für sie eine geistliche Gemeinschaft, „in der wir auf die biblischen Verheißungen hören, uns der Gegenwart Gottes vergewissern, unsere Aufgabenfelder bedenken, gemeinsames Handeln verabreden und uns auf unserem persönlichen Lebensweg begleiten“. Die Konventsmitglieder sowie Mitarbeitende aus Kirche und Diakonie können in den Gästezimmern der wunderschönen Anlage übernachten: für Zeiten intensiver Arbeit, des Nachdenkens oder einfach für eine Auszeit.

Köln

Das ursprüngliche Kartäuserkloster aus dem 14. Jahrhundert lag am Rande von Köln. Inzwischen sind die Häuser der Stadt darum herumgewachsen. Das heutige Ensemble in Köln-Altstadt-Süd verbindet die alte Kartäuserkirche mit sozialen Einrichtungen wie einem Familienzentrum und einer Kita. Den Ort kann man auch bei vielen interessanten Veranstaltungen kennenlernen.

Übrigens gibt es in der Domstadt Köln auch einen Geschichtspfad zur Reformation in der Stadt.

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„Die große Fracht des Sommers ist verladen“ und der Herbst beginnt. In diesem Sommer hat mich das melancholische Gedicht daran erinnert, dass es um mehr geht als um den Wechsel der Jahreszeiten. Von der Klimakatastrophe bis zum Krieg in Europa, von der Transformation der Industrie bis zur Bildung geht es tatsächlich um eine Zeitenwende. Immer neue Herausforderungen, immer neue Felder mit Reformstau kommen in den Fokus. Dabei wird viel debattiert und gestritten. Momentan scheint das Ergebnis vor allem in Ängsten, Wut und Resignation zu bestehen. Was eigentlich blockiert den Wandel? Warum wehren wir uns, wahrzunehmen, wie Menschen und Natur leiden?

Die Londoner Psychoanalytikerin Sally Weintrobe sagt in Psychologie Heute, wir lebten in einer Uncare-Kultur, einer Kultur der Achtlosigkeit, die uns daran hindere, uns der Realität zu stellen. „Wir werden darin bestärkt, zu glauben, nicht menschlich zu sein, verletzlich, abhängig, fragil, sondern fähig, mit allem zurecht zu kommen und alles zu reparieren. Aber das können wir nicht.“ Die Philosophin Sally Haslanger wiederum denkt im Philosophie Magazin darüber nach, was geschehen muss, damit ein sozialer Wandel entsteht. Eine wichtige Rolle spiele dabei der Umgang mit Traditionen: Menschen seien „eng verbunden mit ihren Identitäten und geben ihnen Sicherheit. Manche Traditionen und Gewohnheiten reproduzieren jedoch unterdrückende Systeme wie das Patriarchat oder die weiße Vorherrschaft.“ Aber das „Hinterfragen stabilisierender Gewohnheiten und Normen bedroht das Sicherheitsgefühl vieler Menschen.“

Es gebe „drei verschiedene Möglichkeiten, einen sozialen Wandel anzustoßen“, meint Haslinger. „Man kann erstens versuchen, die materiellen Bedingungen zu verändern. Dies kann durch Streiks oder Blockaden geschehen. Solche Aktionen […] stören gewohnte Abläufe und bringen dadurch die Leute dazu, sich mit den Forderungen auseinanderzusetzen.“ Leider nicht unbedingt – das zeigen die Aktionen der Letzten Generation.

„Man kann zweitens die kulturelle und soziale Bedeutung von Dingen verändern. Ich bin in einer Schule zu einer Zeit aufgewachsen, wo alle Mädchen immer Röcke tragen mussten. Eines Tages kam es zu einem Protest aller Mädchen. Zum Abendessen trugen alle eine Hose. […] Wir haben uns über die Norm hinweg und damit gemeinschaftlich ein Zeichen gesetzt: „Wir haben die kulturelle Zuschreibung, was es bedeutet, ein Junge oder Mädchen zu sein, verändert.“ Eine symbolische Aktion zum Thema Gender, die damals offenbar gelungen ist. Ich habe das selbst so erlebt.

„Die dritte Möglichkeit ist natürlich die politische und rechtliche Veränderung.“ Das „darf bloß nicht als Allheilmittel betrachtet werden. Denn auch wenn man Gesetze verändert, bedeutet das nicht, dass sich auch die Lebensrealitäten verändern.

Dabei geht es um langwierige Prozesse, die in der Tiefe unter den Parlamentsbeschlüssen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen liegen. „Am Grunde der Moldau wandern die Steine | Es liegen drei Kaiser begraben in Prag“, heißt es in einem Gedicht von Bert Brecht. „Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine | Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.“

Die Zuspitzung der Probleme kann angesichts der Langsamkeit der Reformen Angst machen. Aber es gibt so viele mutmachende Modelle! Mir machen die KlimaSeniorinnen Mut, die neuen Wohnprojekte, auch die Special Olympics, die Segensengel in den Straßen, das Generationendinner. Und die Erfahrung, dass Gott mir an ganz ungewohnten Orten, in unbekannten Menschen begegnen kann – mitten in den Mühen der Transformation genauso wie bei den kirchlichen Festen. Wir gehen auf das Erntedankfest zu und auch das wird – nach den Dürresommern – vom Klima„wandel“ politisch geprägt sein. Einige Landwirte sagen, dass man vor fünfzig Jahren von einem „Hungerjahr“ gesprochen hätte. Vorher aber, am 29. September, feiern wir das Michaelisfest, den Beginn des letzten Jahresviertels. Da stecken wir Trostlichter auf und vergewissern uns, dass wir von Engeln geleitet sind, wenn es ins Dunkel geht. Das wünsche ich uns allen: eine Kerze, die das Dunkel ausleuchtet, und viel Mut zum Wandel!

Ihre Cornelia Coenen-Marx
Seele und Sorge GBR
Impulse – Workshops – Beratung

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Dort sind auch einige Vorträge nachzulesen.

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Cornelia Coenen-Marx, Pastorin und Autorin, OKR a. D.
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Lektorat: Dr. Dagmar Deuring | Büro für Texte in der textetage